Familie Lawerenz / Heinrich Hans Günther

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A U S   M E I N E M   L E B E N

Da meine Tochter Ines und meine beiden Enkelinnen mir so lieb zugehört haben, als ich von meiner Kindheit und meiner eigentlichen pommerschen Heimat erzählte, setze ich mich heute am Ostermontag 1990 an meine Schreibmaschine, um von alten Zeiten zu erzählen, wobei denn auch alle meine Nachkommen in späteren Zeiten erfahren können, wie umständlich es vor 83 Jahren noch zugegangen ist.
Doris und Jens-Uwe sind natürlich bei meinen Erzählungen in Abendstunden nicht dabei gewesen, weil --- nun, am besten erzählt man nur, wenn ein kleiner Kreis dabei ist. Aber ihre Partner werden manches schon gehört haben und sich hoffentlich nicht langweilen.

Ein weiterer Anlass für meine Erinnerungen ist, daß gestern im Gottesdienst der Pastor Stark unter den Namen der Verstorbenen auch seinen Vater nannte, und der ist Pastor in Barfußdorf gewesen. In einem späteren Gespräch sagte Herr Pastor Stark, wie gerne er noch einmal in seine Heimat zurückkehren würde; da dachte ich auch an eine solche Reise, doch ich fürchte, daß meine Alterskräfte dazu nicht mehr hinreichen werden, selbst wenn unser Bundespräsident Herr Weizsäcker meint, die Versöhnung mit den Polen durch Anerkennung der Oder/Neiße Grenze herbeiführen zu können.
Heinrich Lawerenz

Diese Bezeichnung Oder/Neiße Grenze ist falsch und irreführend, weil ein Teil der Insel Usedom, Swinemünde und der gesamte untere Oderlauf als Grenze benannt wird, obwohl es sich hier um Gebiete westlich der Oder handelt. Das sind politische Folgen des zweiten Weltkriegs, zu denen die Abtretung Königsbergs an die Sowjetunion und dafür die Zueignung Stettins an Polen gehört.

Geschichte kommt von Geschehen, wie kann ein so gelehrtes Haupt (der Bundespräsident) als unveränderlich anerkennen, was - wie alle geschichtlichen Erfahrungen zeigen - stets veränderlich bleiben wird: das ist nur aus den gegenwärtig notwendigen Anerkennungen verständlich --- an Krieg denkt niemand mehr, obwohl auch der in und aus der Welt nicht herauszukriegen sein wird, pessimistisch gesehen.

Nun aber nach Hackenwalde polnisch =Krepsko, dem Wohnsitz meiner beiden Großeltern, des Kantors und Lehrers Franz Lawerenz und seiner Ehefrau Amanda, geb. Uhrlandt, beide nachweislich als Nachkommen der unter Friedrich dem Großen zur Kolonisierung und zur Unterbringung und Versorgung seiner Soldaten ins Land gerufenen Familien.
Die Uhrlandts waren angesehene Handwerker und Bürgervorsteher in Gollnow polnisch =Goleniowa.
Großvater Lawerenz war in Kamelsberg (friederizianischer Name) bei Langenberg am Dammschen See Ihnamünde (vermutlich polnisch =Inoujscie geboren; schon sein Vater war Lehrer.
Großvater Borngräber stammte wohl aus dem Lübbener Gebiet (Spreewald), die Großmutter hatte Verwandte in Wien und es gibt Hinweise auf Böhmen (z.B. kostbares Glas als Erbe).
Meine Erinnerungen reichen nicht bis zum Tode meiner Mutter (16.6.1908).
Ich war damals erst 1 1/2 Jahre, meine Schwester 3 Jahre alt. Mein Vater erzählte, daß er am späten Abend von Arzt zu Arzt geeilt sei, aber keiner wollte helfen, nur der letzte sagte, seine Frau läge auch im Sterben, aber er käme trotzdem mit; doch Hilfe war nicht mehr möglich.

Das Kartenspiel

An diesem Abend saßen meine Großeltern Borngräber gesellig zusammen und spielten Karten in der Gartenlaube. Da flackerte die Petroleumlampe und erlosch. Sie wurde wieder angezündet, aber abermals erlosch das Licht, wie von Geisterhand erdrückt. Nach einem dritten Versuch gaben sie ihr Spiel auf: es müßte etwas Schlimmes passiert sein. Ihr mögt es glauben oder nicht, unmöglich ist es nach meinen Erfahrungen nicht.
Nach dem Tode meiner Mutter sollte meine Tante Hedwig mit 17 Jahren wohl den Haushalt übernehmen, aber das lag wohl nicht ganz in ihrer Kraft. Ich erinnere mich an diese Zeit nur durch eine Narbe am Kinn, die durch einen unglücklichen Sturz mit dem Schaukelpferd auf den Holzrahmen einer hölzernen Wiege entstand, was aber kaum an meiner lieben Tante gelegen haben kann.
Meine Schwester, Trudchen oder Tutti genannt, blieb wohl in Stettin, obwohl sie auch erst drei Jahre alt war; für sie war es schon ein wirklich schlimmer Verlust, der sich sicherlich auch auf ihr späteres Leben noch auswirkte.
Ich dagegen bin wohl zu meinen Großeltern gekommen aufs flache Land mit einer weiten Sandgrube und einer großen Gemeindewiese vor der Tür. Diese Jahre waren kindlich ungetrübt, es gab soviel zu entdecken. Meine Großeltern hielten auch Schweine und Hühner.
Der Kutscher des an Sonntagen kommenden Pfarrers mit seinen beiden braunen Pferden konnte so schön erzählen und gab mir von seinen dick belegten Stullen mit dem Taschenmesser (Kniv oder knife?) abgeschnittene Bissen ab, doch wie mein Sohn Jens einmal sagte: Pferde sind gefährliche Biester! Und eins von ihnen versetzte mir einen Schlag in den Bauch, als ich von hinten wohl zu nahe herangekommen war.
Autos gab es in dieser Gegend überhaupt noch nicht, Fahrräder waren noch Hochräder und konnten mit dem gewaltig hohen Vorderrad nicht gebraucht werden; Wagen, auch Kutschen waren notwendigster Bestandteil eines Bauernhofes. Pferd und Wagen gehörten denn auch zu den besonderen Erlebnissen in Zusammenhang mit meinen Aufenthalten bei den Großeltern. Da war z.B. der Planwagen, der wöchentlich einmal vorfuhr und Ull Zutersch handelte mit allem, was die damals sogenannten Kolonialwarenläden in der Stadt boten: Petroleum, Kerzen, Lebensmittel aller Art, Süßwaren wie Schnecken und Amerikaner mit Zuckerglasur. Sie kaufte aber auch Eier auf.

Zum Schiff nach Langenberg oder zur Bahn nach Gollnow brauchte man mit dem Pferdewagen eine bis anderthalb Stunden. Mit Onkel Rudolf, der keine Peitsche mitgenommen hatte, brauchte der massige Schleswiger zwei Stunden; er ging nur Schritt vor Schritt, und wir verpaßten unseren Zug.
Bei einer Fahrt nach Langenberg zum Schiff an einem trüben Morgen scheute das Pferd und drohte den Wagen in den neben der Straße verlaufenden Moorgraben zu stürzen. Es scheute vor einem phosphorgrün leuchtenden verfaulenden Baumstumpf. Der Kutscher mußte es am Zügel vorsichtig an diesem Schreck vorbeiführen. Diese Straße war allerdings schon etwas befestigt, weil sie durch mooriges Gebiet führte. Es gab sonst nur tief eingefahrene Sandwege, neben denen Fußgängerpfade, die auch von Radfahrern benutzt wurden, festgetreten waren. Im Wald wanden sich diese Wege zwischen und um die Fichten und Tannenbäume, und einmal später fand ich mich vor meinem Fahrrad, weil ich schon bei beginnender Dunkelheit eine querliegende Wurzel nicht beachtet hatte; es war auch eilig, weil ich zum Zug mußte.

Der dunkle Heimweg

Von richtiger Dunkelheit könnt ihr euch gar keine Vorstellung machen.

Ich mußte eines Tages meine Schwester durch den Wald zum Bahnhof begleiten; ich weiß nicht, warum Großvater kein Fuhrwerk spendierte. Jedenfalls merkte ich mir an einer sechsfachen Wegekreuzung genau die Fußabstände von einem Wegweiser, der die notwendige Richtung zum Heimweg angab. Aber als ich auf dem Rückweg vom Bahnhof vom freien Feld in den Wald kam, schlug mich doch einer brutal gegen den Kopf: ich stand wie versteinert -- ihr müßt bedenken, zu dieser Zeit gab es noch viele Geschichten von Räubern und Unholden im Wald, ganz abgesehen von den Wildschweinen, die sogar Förster auf die Bäume getrieben haben sollten -- und in Stettin gab es doch niemals absolut dunkle Straßen, nur in den Kellern gab es kein Licht -- allmählich, als sich nichts rührte, tastete ich um mich nach vorn und das war doch eine senkrecht feststehende Latte, eine Wagenrunge, wie sie an Heu- und Erntewagen an vier Stellen stehen, um die breiten Leitergestelle, die das Heu und Korn zusammenhalten, abzustützen. Ich konnte frohgemut weitergehen, zumal sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnten, und ich herausfand, daß ich nicht unbedingt in der schmalen Fuhrrinne Fuß vor Fuß zu setzen brauchte, sondern auch auf dem sandigen Mittelstück, denn jetzt konnte ich auch zwischen den Baumwipfeln den Himmel erkennen. Nun kam ich an die Kreuzung, vom Wegweiser nichts zu sehen: ich mußte vorsichtig sein, denn wenn ich den Weg verfehlte, mußte ich stundenlang weitergehen, bis ich das nächste Dorf erreichte. Ich ging also soweit in der Spur zurück, bis ich die senkrecht dazu laufende andere Spur erfaßt hatte; ging dann in dieser tastend voran, die paar Schritte, die ich vorher abgemessen hatte, aber trotz aller Suche, meine Arme konnten keinen Wegweiser erfassen, aber plötzlich faßte ich doch einen viereckigen Stamm, also den Wegweiser. Nun ging es hurtig voran, denn die Lichtung, bei der ich zur Försterei abbiegen mußte, konnte nicht mehr weit entfernt sein. Da kam sie auch, aber sie erschien mir viel zu klein und ich ging weiter, kam plötzlich aus dem Wald heraus, vor mir das freie Himmelszelt (Mond und Sterne waren nicht mehr da, aber es war doch etwas heller als im Wald). Ein Fahrweg lief am Waldrand entlang, mußte rechts nach Kattenhof, links nach Hackenwalde führen, wenn ich am Waldrand bliebe zur Försterei. Draußen aber hinter der Feldflur blinzelten Lichter, und die wanderten hin und her, also Irrlichter!
Ich beschloß, in der Spur nach links zu bleiben, zumnal da auch ein festgefahrener Rad- und Fußgängerpfad getrampelt war, und da war denn auch ein Brummen wie von Telefonleitungen, dann mußte auch ein Mast kommen. Ich sah mich noch einmal um. Da gab es aber draußen auch ein feststehendes Licht, auf das ging ich nun zu, weil auch eine Wagenspur dahin führte. Die Hausbewohner schreckten zusammen, als ich ans Fenster klopfte - verständlich in der Einsamkeit - sie hatten Angst vor mir, bis endlich eine erlöste Frauenstimme rief:" Dat is ja Hansse sin". Mein Vater hieß Johannes. Nun erhielt ich die richtige Anweisung, kam an der Kirche, am Lehrerhaus, am Friedhof, am Brombeergestrüpp und am Gasthof vorbei zur Försterei. Allerdings lauerte mir auf diesem Wege noch einmal ein riesiges dunkles Ungheuer auf, weil ich vor allem nur auf meine Wagenspur guckte, kam das so überraschend, aber es war ja nur der Kirchturm; gleichwohl die Spukgeschichten wußten zu berichten, daß an der Friedhofsecke ein Hund lauerte und eine goldene Kette bewachte.
Gold spielte damals eine andere Rolle als heute. So hieß es beim Beginn des ersten Weltkrieges, daß ein Goldtransport vom Westen nach dem Osten unterwegs sei, und die Hackenwalder sollen nächtelang auf ihren abgelegenen Gehöften und Wegen Wache gehalten haben. Unmöglich wäre Schmuggeln im heutigen Polen sicher auch nicht.

Mein Heimatdorf Hackenwalde polnisch =Krepsko

Hier bin ich zwar nicht geboren worden, sondern in Stettin, aber meine frühe Kindheit erlebte ich in Hackenwalde Kreis Naugard, Pommern.
Das Dorf gehörte zu den Siedlungsdörfern, die Friedrich der Große (II) nach seinen Kriegen zur Versorgung der Veteranen angelegt hatte. Es handelte sich um Kultivierungsmaßnahmen zur Landgewinnung im Moor (Trockenlegung) und wenig erschlossenen, sandigen Gebieten. Hackenwalde lag in einem flachen Sandgebiet am Rande eines außerordentlich großen Waldgebietes, aus dem zu meiner Zeit vor allem Grubenholz zum Absteifen der Flöze im Bergbau ausgeführt wurde. Es waren schnellwüchsige Nadelgehölze in zunächst einheitlichen Kulturen, die wegen der Schädlings- und Brandgefahren aber allmählich mit Birken und Laubbäumen und vor allem durch sogenannte "Gestelle" (d.h. gradlinige Schneisen, die sich senkrecht schnitten und raschen Eingriff bei Brandgefahr ermöglichten), durchsetzt wurden.
Nach Westen hin zur Oder begann hinter der sandigen Feldflur ein ausgedehntes Moor, das trockengelegt war, aber durchaus nicht völlig; Kanäle ermöglichten noch eine gewinnbringende Fischwirtschaft mit Edelfischen wie Karauschen, Aalen, Barschen, Forellen und Aalquappen.
Das Dorf bestand aus zwei Straßenzügen parallel zueinander mit einer altlutherischen Kirche in der Mitte und einer zweiklassigen Schule. Parallel zu diesen Häuserzügen lief der Mönchenbach; er trennte einen zweiten Ortsteil im Abstand von jeweils etwa 1000 m voneinander; man sagte voneinander nur "drüben".
Auf dieser Seite stand die lutherische Kirche und das Schulhaus, in dem mein Großvater Lawerenz mit seiner Familie lebte und in dem ich auch meine früheste Kindheit verbrachte.
Auf dieser Seite lag am Waldrand auch die Försterei des Großvaters Borngräber.

Die Ortsnamen Kattenhof polnisch =Katy, Hackenwalde, Fürstenflagge polnisch =Boleslawice und andere erinnern noch an friederizianische Offiziere.
Münchendorf polnisch =Miekowo und Barfußdorfpolnisch =Zolwia sind Gründungen von Mönchen, vermutlich vom Bistum Cammin.

Die Lehrer- und Kantorstelle hatte mein Großvater Lawerenz inne, ihm folgte mein Onkel Hans Splinter (Ehemann von Tante Hedwig) und dem wieder mein Onkel Herbert.
Onkel Splinter hatte zuerst die Lehrerstelle auf der anderen Seite, Großvaters Vater war schon Lehrer gewesen in Kamelsberg am Dammschen See.
Es gab zu meiner Zeit nur tiefausgefahrene Sandwege, nur von Langenberg polnisch= Swieta nach Gollnow führte ein befestigter Fahrweg durchs Moorgebiet zur Dampferanlegestelle Langenberg.

Wenn wir von Gollnow (Bahnstrecke) abgeholt wurden, benutzten wir zunächst diese Straße und bogen dann in Fürstenflagge polnisch =Boleslawice nach Hackenwalde ab; wurden wir aber von Langenberg abgeholt, bogen wir natürlich auch in Fürstenflagge nach Hackenwalde ab. Auf einer morgendlichen Fahrt im Nebel von Hackenwalde nach Langenberg scheute unser Pferd vor einem grünlich/gelb verfaulenden Baumstubben; es bäumte sich auf und es bestand Gefahr, daß das Fuhrwerk in den moorigen Straßengraben gerissen würde.
Der Kutscher mußte bei straff gehaltener Leine absteigen, das Pferd am Zügel beruhigen und vorsichtig an der Stelle vorbeiführen.

Die Fahrt mit dem Dampfer "Salamander" von Stettin nach Langenberg war besonders eindrucksvoll, weil sie durch die aufgeklappte Baumbrücke hindurch an der Hakenterrasse in Stettin vorbeiführte und an allen Vororten
und den Schiffswerften, der Papierfabrik Feldmühle, die damals eine der modernsten Fabriken war, und dem Eisenverhüttungswerk Kratzwiek (schwedische Eisen und schlesische Kohle trafen sich hier zur Verhüttung).
Weiter ging es durch den Dammansch (Verbindung mit dem Dammschen See) zu kleinen Anlegestellen an der Ihna-Mündung vorbei nach Langenberg, wobei Fahrgäste, Vieh und Milchkannen transportiert wurden.
Der "Salamander" erwies sich als solcher, ein Loch im Kajütenboden machte mir Spaß, aber wenige Tage später lief das Dampfschiff voll Wasser und wurde auf Grund gesetzt. Ein noch kleineres Schiff lief auf der Ihna von Gollnow bis in die Nähe der Anlegestelle Kamelsberg; es beförderte wohl nur Fracht.
Hier wohnten vor allem Fischer, und hier war auch der Vater meines Großvaters schon als Lehrer tätig.

Wenn wir auf unserer Fahrt mit dem Einspänner Kutschwagen endlich den einen Teil des Dorfes Hackenwalde hinter uns gebracht hatten, fuhren wir über den Mönchenbach in einiger Entfernung vom Waldrand an einem Gasthof vorbei, und nach wenigen einzelnen Gehöften konnten wir das Schulhaus erkennen.
Es lag hinter der freien Ackerfläche, auf ihr wurden Kartoffeln, Roggen, Hafer und Seradella (Gras als Viehfutter) angebaut. Der Pachtertrag gehörte zum Deputat des Lehrers und wurde auf das Gehalt angerechnet. Vom ringsum laufenden Holzzaun winkte das vom Großvater aus Zigarrenschachtelnholz gebaute Mühlchen lustigen Empfang.
Ja, eigentlich war das Schulgrundstück ein Stück Kolonialgeschichte. Das abgezäunte Gebiet war eine beträchtliche Fläche mit Garten und Stallungen; zwei Torwege erlaubten die Zufahrt. Das Schulgebäude stand in der Mitte vor dem Gartengelände, man hatte freien Blick über die Felder bis zum Waldrand.
Zur linken Seite lag ganz in der Nähe eine Sandgrube und darin ein Gemeindebackofen, der auch von meinen Großeltern benutzt wurde. Brot wurde auf Vorrat gebacken, in der Schule selbst war auch ein kleiner Backofen. Besondere Sorgfalt wurde auf den Backtrog verwendet, hier mußte ein Stück Sauerteig vom letzten Backen aufbewahrt werden. In dem länglichen Trog wurde Mehl mit etwas Wasser angesetzt und Sauerteig zugemischt. Der Teig mußte dann nach Kräften durchgeknetet werden; ein Rest des Teiges wurde als Leckerbissen (als Back) für uns Kinder besonders abgebacken.

Vor dem Schul- und Wohngebäude stand die Pumpe, sie war hier schon abseits der Stallungen angelegt, während sie in den reicheren, aber älteren Weizackerdörfern noch immer dicht an den Klosettanlagen stand, weil der Boden kostbar war. Auf der rechten Seite lag nur von einem schmalen Feld getrennt der Friedhof und die Kirche.
Zur linken und rechten Seite des Schulgebäudes waren Stallungen, Holzstall (Holz und Torf waren einzige Brennstoffe), Scheune, Pferdestall zum Ausspann für die Pastorsfuhrwerke sonntags; zur rechten gab es einen großen Holzstall mit Hühnerstall und einen Schweinestall.
Außerhalb der Umzäunung waren die Plumpsklosetts für Schüler und Schülerinnen und für die Lehrerfamilie. An der dem Hof abgekehrten Schmalseite gab es einen besonders schönen Hochsitz mit Ausblick über die freien Felder auf den Waldrand.
Man mußte erst einen ungleich vierkantigen blauen Granitstein (etwa 50x50x40 cm hoch) ersteigen, dann gab es eine Tür mit einem Riegel und dahinter das Gemach mit einer breiten und tiefen Bank, in der Mitte war dann der Sitz eingeschnitten. Hier konnte man seine Ruhe haben mit dem wunderschönen Blick auf den Sternenhimmel und Waldrand.
Meine Schwester hatte oft Angst und ich mußte dann Wache stehen; es waren eigentlich unvergeßlich schöne Stunden; der Friedhof gegenüber ließ keine Unruhe aufkommen.

Hygiene - war damals vielleicht schon im Gespräch. Daß Taschentücher überflüssig sind, erlebte ich am Bahnhof Soest, als einer nur mit Hand und Schnauben den Schnupfendreck auf den Rasen beförderte, der nächste machte das auch: mit den Fingern wischte er den Schnodder ab. Stettin hatte damals ca 1907 schon WC. Die Kanalisation endete so etwa bei der Stadtgrenze in die Oder.
In Husum meinte ein Hausbesitzer 1950 zu einem Flüchtling, der die vorhandene Anlage zum WC umbauen wollte: "Das haben Sie zu Haus ja auch nicht gehabt!" und er müsse das auf seine Kosten wieder beseitigen.
- 1945/50 fuhren noch die Gespanne mit Fäkalieneimern. Es gab Typhusepidemien, weil für die Kanalisation keine Kläranlagen bestanden, die modernste wurde erst 1989 eröffnet - außerhalb des Stadtgebietes. Die Holländer in Friedrichstadt hatten schon Plumpsklosett mit Abzug und Anschluß an die Grachten, offene Kanäle um und quer durch die Stadt. Ebbe und Flut sorgten für Spülung.

Die Schulklasse im Haus war nach der Schule Tummelplatz des Hundes (Männi), der sich mit den Frühstücksstullen vergnügte. Die gemütlichen Wohn- und Arbeitszimmer hatten zwei Keller unter sich, die für Vorräte bestimmt waren.
Auf dem Boden war noch ein Zimmer, in dem wohl die drei Mädchen Tante Frieda, Erna und Hedwig gewohnt hatten. Sie schmökerten (lasen) gern, es gab zwar kaum Illustrierte außer dem Simplizissimus (dafür Romane aus der Schulbibliothek und vor allem Lieferungen aus der "Bibliothek für Unterhaltung und Wissen", eine Buchreihe).

Mein Großvater wurde in der Schulstube dieses Hauses aufgebahrt, mich hatten sie davongeschickt. Als ich jenseits des Münchenbachs war, läuteten die Glocken: ich stieg vom Rad und kniete auf dem schmalen Fahrweg nieder, dort wimmelten die herrlichsten Käfer in allen Farben, und das war ein Wink für mich von der Unvergänglichkeit des Lebens. Auch die Beerdigung selbst mit dem Glockengeläut, dem Sarg in der Schulklasse, dem Gefolge ist unvergessen.

Natürlich wurde auch die Hochzeit meiner Tante Hedwig hier gefeiert. Unzählige Kuchen wurden drinnen und draußen gebacken und zum Kühlen auf die Betten gestürzt. Es war eine lange Hochzeit, an deren Ende der Pastor, dem man noch zum Schluß Cognac eingeflößt hatte, von seinem Kutscher zum Wagen gebracht wurde, damit sie noch vor Tagesanbruch die Stadt erreichen könnten.

Engel Michael Kirchen waren mir natürlich immer zugänglich, auch der Turm zum Läuten, das auch gekonnt sein muß mit dem Anläuten und dem Ausläuten ohne Nachklang.
Als meine Großmutter einmal für den erkrankten Großvater zur Glocke hochklettern mußte (später war ein Seilzug bis unten durchgeführt), erschrak sie vor der Gestalt des großen Engels Michael, der ihr aus der Öffnung zum Kirchenboden entgegenschaute. Er war zu Reparaturarbeiten abgenommen und hier aufgestellt worden. Es war schön, hier zu stehen und durch die Schalluken auf allen Wegen die Kutschen mit den Kirchgängern herankommen zu sehen.

Weit von der Schule entfernt am Waldrand lag die Försterei, auf der mein anderer Großvater tätig war, nachdem er vorher schon in Schnittsoll und später wohl schon als Pensionär noch eine Försterei in unmittelbarer Nähe von Gollnow betreute.

Als Kinder hatten meine Eltern wohl wenig Berührung gehabt, vielleicht weil meine Mutter damals noch in F.Schnittsoll polnisch =Twarogi wohnte. Vaters erste Liebe muß sehr tief gewesen sein; denn kurz vor seinem Tode sagte er ganz unvermutet:" da stand das Kind am Wege" (Immensee). Sie hatte wohl eine glückliche Jugend, war auch eine Zeitlang bei einer Tante in Wien als Pflegerin und hatte von ihr eine Erbschaft erhalten, die als Hypothek für uns Kinder angelegt wurde, aber in der Inflation verlorengegangen ist. Ein farbiges Glas war noch in unserem Haushalt in Misdroy.

Mein Vater hat selten von seiner Jugend erzählt; nach dem Seminarbesuch erhielt er seine erste Stelle im äußersten Ostpommern ( Kaschubei, Pommerellen), wo es noch sehr primitiv zugegangen sein muß: er sprach, daß in jedem Haushalt nur ein Topf vorhanden gewesen sei. Später wurde er Mittelschullehrer, dann Polizeischulrat in Stettin, wo er auch Stadtverordneter war und nach 1933 aus dem Amt entlassen wurde, zunächst sich mühsam Nebenerwerb suchte, dann Pension erhielt. 1945 mußte er mit unserer 2. Mutter (seiner 2. Frau) und der Großmutter Schulz flüchten, kehrte aber noch einmal nach Stettin zurück und wurde von Polen zusammengeschlagen, was er nie vergessen konnte.

Nach der endgültigen Vertreibung übernahm mein Vater eine Lehrerstelle, später wurde er Rektor in Westeregeln, erhielt von da aus einen Lehrauftrag für die Lehrerausbildung in Staßfurt. Er schrieb Geschichtsdarstellungen für das Museum in Wernigerode, nachdem er in den Ruhestand getreten war, und wohnte bis zum Ende seines Lebens in Wernigerode, Kantstraße 29, von wo er mit meinen beiden Stiefbrüdern vor dem zweiten Weltkrieg viele Wanderungen gemacht hatte, und wo wir ihn und unsere zweite Mutter oft besuchen konnten.

Euer Großvater war ein begeisterter Klavierspieler; er musizierte oft zu Hause mit einem Quartett und führte ein selbständiges Konzert im Konzerthaus durch. Er war Kritiker für eine Zeitung in Musik-, Konzert- und Theatersachen. Ihm standen jederzeit 2 Plätze in allen Veranstaltungen zur Verfügung, und häufig beauftragte er mich mit der Kritik von Operettenaufführungen im Bellevuetheater. Und er gab mir die Anweisung, die Inhaltsangabe in zwei kurzen Sätzen zu bringen, die Kritik ebenfalls knapp, aber deutlich vorher auszuarbeiten. Eine Aufgabe, die mir in meinen Schulaufsätzen sehr nützlich war, zumal die Anweisung lautete:" in der Kürze liegt die Würze", und der Hinweis, daß der Lehrer auf allzuviel Papier keinen Wert legte, sondern auf klare Gedankenführung. Ich hatte freie Wahl meiner Begleiterinnen, sofern meine Schwester verhindert war. Einmal - ich vergesse das nie - sagte mein Vater in einer Aufführung der Oper "Die Jüdin von Halevy", als der jüdische Vater seine Tochter in die Flammen stürzte:" Na, muß er das wohl tun?" und löste damit für alle Zeiten die Furcht vor Sentimentalitäten. Leider war mein Vater nur wenig zu Hause, weil er Stadtverordneter war.

Die Erinnerung an meine Mutter besteht eigentlich nur aus einem großen Bild, das ich zu meinem Schutz und als Zuflucht immer wieder und lange beschaute. Es hing zuletzt im Badezimmer (zugleich Toilette); ihm gegenüber hatte ich die Schuhe der Familie zu putzen; ich dachte wohl oft an das Märchen:" Oh Fallada, da du hangest", und die Rettung, die im Märchen geschieht. Bewußt wurde mir das alles aber erst nach dem Besuch meiner Großmutter Borngräber, die das Bild an dieser Stelle mit Entsetzen gesehen hat. Heute verstehe ich, warum das geschehen konnte: jede zweite Frau ist bemüht, die Erinnerung an die erste Frau zu verdrängen; ich hatte wenigstens das Bild noch vor der völligen Vernichtung bewahren können. Das ist alles so lange her; es war noch in der Blücherstraße mit einem sehr schmalen Badezimmer und also vor 1927. Später wohnten meine Eltern in der Nähe des Quistorpparkes: Bethanienstraße, und dann im Raabeweg. Alles ist heute polnisch und verloren. Es gab eine zweite Anlaufstelle, die ich oft auf Veranlassung meiner Stiefmutter besuchen mußte, das Grab meiner Mutter auf dem Friedhof. Dieser Friedhof war vorbildlich gärtnerisch und in Parkform angelegt. Die Grabreihe, in der unser Grab lag (es war neben meiner Mutter noch das erste Kind aus der zweiten Ehe beigesetzt), begann mit einer Trauerweide. Euer Brüderchen Martin wurde auf einem neuen Teil des Friedhofs beigesetzt. Aber hier konnte ich meinen Kummer auch ausschütten und mich selbst wiederfinden. In der knappen Nachkriegszeit (1.Weltkrieg) suchte ich anschließend noch Moucherons auf der großen Rasenfläche vor dem Kapellenbau. Es waren kleine Suppenpilze, die getrocknet wurden. Auch hatte ich ja meine 2 Jahre ältere Schwester, die mehr unter dem Verlust der Mutter zu leiden hatte, und nach der Wiedervermählung meines Vaters einen Nervenzusammenbruch (Veitstanz) erlitt. Alle anderen Erinnerungen beruhen auf Erzählungen der Verwandten, zu denen auch zwei Schwestern meiner Mutter gehörten und deren Kindern (Cousins und Cousinen). Das Försterhaus in Hackenwalde mag nicht das Geburstshaus meiner Mutter gewesen sein, es war vielleicht doch Schnittsoll. Eine Kirschbaumallee bildete die Auffahrt, denn ein Pferd und Pferdefuhrwerk gehörte zu einer Försterei. Auch dies Gehöft bildete eine Einheit mit Stallungen und Garten. Viel später versprach mir mein Großvater Borngräber zu Ostern Ostereier, wenn sie noch viel goldener geworden wären, aber statt dessen kam die Inflation und die Vernichtung aller Werte. Die Besuche im Hause dieser Großeltern waren aber stets etwas Besonderes. Zunächst ging der Großvater nur ein Stückchen vors Haus an den Waldrand und schoß ein Kaninchen für den Mittagstisch. Es gab abends Fliederbeersuppe mit großen Butterbroten, wozu noch zu erzählen wäre, daß meine Mutter als Schülerin die Schulbrote zu machen hatte. Aufschnitt gab es nicht, aber dünnen Schmalzaufstrich; Großmutter wunderte sich, daß der so dünn war, aber eines Tages klappte sie die Stullen auseinander: und siehe da, reichlich Butter war zu sehen. Ob die Geschichte wahr ist, wage ich sogar zu bezweifeln, da die Erzählerin wohl selbst beteiligt war. Meine Mutter muß sehr schön gewesen sein, stattliche Figur, mächtige Haare, dunkelbraun, vermute ich, würdige Erscheinung; aber das sind Phantasievorstellungen. Erwähnenswert sind noch die Pirschrundgänge, das Fallenausstellen gegen Füchse, das Anstellen im Herbst zur Hirschbrunst; ob das Röhren von meinem Großvater mit einer Gießkanne verursacht wurde, oder wirklich von einem Hirsch, ja, das weiß ich nicht; ich hab's damals für ernst genommen, es war ja dunkel im Wald. Als ich mit Eurer Mutter zur Brautzeit im Paddelboot von Stargard bis Gollnow Ihnaabwärts gefahren war, landeten wir in der Nähe der Försterei und wurden sehr freundlich begrüßt und bewirtet.

Ein Photo meiner Großmutter Borngräber zeigt die aufrechte Haltung bis ins hohe Alter, den wasserfesten Jagdhund und vielleicht auch angedeutet die langen bis zum Knie reichenden Zöpfe, die sie wundervoll aufgesteckt trug. Ich durfte die Haare natürlich nicht sehen, aber meine damalige Freundin, Eure Mutti, wurde beiseite genommen und dann ließ Großmutter ihre Haare ganz herunter und zeigte ihre Pracht, klagte aber dabei über deren enormes Gewicht und Kopfschmerzen.

Die Großeltern waren etwas eifersüchtig aufeinander. Sie besaßen zwei Oleanderbäumchen: Großvater zeigte sie mir und sagte dazu:" Da siehst du, das kleine, das sagt sie, sei meins, aber in Wirklichkeit ist das andere da, das stattliche natürlich meins".

Bei einem anderen Besuch kamen wir auch nach Hackenwalde. Großvater hatte ein Pferdefuhrwerk besorgt, es war wohl schon Krieg, denn es war nur ein Ackerwagen und ein kümmerliches Pferd. Es sollte das letzte Mal sein, daß ich die Stätte meiner Kindheit und die Gräber sehen durfte. Wir wohnten damals schon in Misdroy und waren verheiratet.

Mein Großvater Borngräber hatte die Nachfolge seines Schwiegersohnes Streich in einer Försterei nahe der Stadt Gollnow (Inazoll?) angetreten. Es war ein geräumiges Haus mit Wirtschaftsteil; später lebten die Großeltern Borngräber in Gollnow nicht weit entfernt von der Försterei. Großmutter zog nach dem Tode Großvaters nach Berlin zu ihrer Tochter Ika Schulz (Ehemann Adolf, Söhne Martin und Hans) und erlebte dort noch die Bombenangriffe auf Berlin. Eine andere Tochter Elfriede Streich lebte zuletzt in Preetz bei Kiel, ihre Tochter Iti Duscher lebt heute noch auch nach dem Tod ihres Mannes Anton Duscher in Kiel.

Ich sehe schon, daß ihr manches nicht verstehen könnt. z.B. Kolonisierung bedeutet Trockenlegung nasser Gebiete, um landwirtschaftliche Nuzung zu ermöglichen. Sie wurde nach dem siebenjährigen Krieg von Friedrich dem Großen (II) durchgeführt, um die Veteranen zu versorgen. Sie erfaßte weite Gebiete an der mittleren und unteren Oder, aber auch an anderen preußischen Provinzen. Folgende Industrien waren: Webereien, Spinnereien, Seilweber auf durchgängigen Dachböden der neuerbauten Siedlungsreihenhäuser z.B. für die "Kolonisten" in Gollnow noch bis in meine Zeit erhalten: Wollverarbeitung, Anbau von Pflanzen zur Seidenraupenzucht, Netze, Hanfanbau, Kartoffelanbau, mühsame Einführung der Kartoffel z.B. "Lüchting frett Fisch, Tüften sind düer" (Bengel friß Fisch, Kartoffeln sind teuer) für den Fürstenjungen!

Hackenwalde gehört zu den von Friedrich dem Großen trockengelegten Gebieten, die z.T. an Moore grenzten; aber erst trocken gelegt war nun Wiesen- und Ackerbau möglich. Zu meiner Zeit lag das Dorf vor dem Waldgebiet (Jagdgebiete, Kiefernwälder für den Stollenbau in Bergwerken) und grenzte im Westen zur Oder hin an Moorgebiete mit ertragreicher Fischwirtschaft.

Das vorher genannte Dorf Barfußdorf verrät mit seinem Namen ebenso wie das Münchendorf oder Münchenbach seine Herkunft aus der Zeit der Christianisierung, vermutlich vom Bistum Kammin aus.

Großvater Borngräber im Spreewaldgebiet Dienst im Jägerregiment in Preußen: Ausbildung schon im Jugendalter, strenge Zucht, freie Kleidung (Uniform), Nahrung, Wohnung (Kaserne), für Längerdienende weitere Ausbildung für den Staatsdienst (Standesbeamte, Lehrer, Förster, überhaupt Beamte), die auch aus armen Verhältnissen sich hoch arbeiten konnten. Uniformen waren in meiner Kindheit sehr farbenprächtig für die einzelnen Waffengattungen und mußten sehr sorgfältig gepflegt werden; erst mit dem ersten Weltkrieg wurde das Feldgrau allgemeine Uniform.